Und plötzlich sind wir in Afghanistan ...

Blick auf die Whakhan Gebirgskette
Blick auf die Whakhan Gebirgskette

Die bewillungsfreie Anfahrt zum Zorkul-See von Osten, haben wir uns nicht getraut. Die bewilligungspflichtige von Westen wurde uns bekanntermassen verwehrt. Unsere Bewilligung ist ja aber bis 12. September gültig. Und vor 5 Tagen haben die Militärfuzzis ja gesagt, dass das Gebiet allenfalls ab 11. September wieder zugänglich ist. Also machen wir's uns 2 Tage auf dem Kargush Pass gemütlich. Ich lese viel ("A Fortune-Teller told me" von Tizziano Terzani, wenn man Asien mag und sich für die Dinge zwischen Himmel und Erde interssiert sehr empfehlenswert, ich verschlinge es geradezu). Am 10.9. laufen wir noch auf den Hausibeck Aussichtspunkt und geniessen die Aussicht auf die Wakhan Gebirgskette und den dahinter liegenden Hindukush. Das ist für mich immer wieder so unwirklich. So nahe an Afghanistan. So nahe an einem der grössten Krisengebiete. Aber dazwischen liegen zwei riesige Gebirgszüge mit bis 7000 m hohen Bergen uns hier ist noch nie was passiert. Zwar werden hier Unmengen von Opium geschmuggelt. Aber die Schmuggler müssen Hirten sein, die nach Schaf stinken und uns um ein paar Zigaretten anschnorren. Am 11.9. stehen wir dann um 11 Uhr wieder vor dem Militärposten. Pässe und Bewilligung abgeben. Nach 10 Minuten taucht der Soldat wieder auf. Wie der Mann heisst in Korogh, der uns die Bewilligung gegeben hat? Wissen wir nicht, aber zum Glück habe ich die Telefonnumer aufgeschrieben. Nach weiteren 10 Minuten taucht er wieder auf und öffnet die Schranke... wir können es fast nicht glauben. Dass wir "drin" sind, ... und dass wir tatsächlich einige Mal den tadschkisch-afghanischen Grenzpfosten anstatt rechts von uns, links von uns sehen. Wir sind in Afghanistan... naja, zumindest immer mal wieder mit einem Fuss. Das ist schon komisch, wenn der Grenzbaum plötzlich links anstatt rechts von einem steht... Durch das breite Tal schlängelt sich ein seichter Fluss, der sich ab und zu seenartig verlangsamt. In diesen ruhigen Wasserflächen tummeln sich viele Enten, Taucher, Stelzen und ... Gänse (tibetische?? Simona, Du musst mir dann eh noch beim Bestimmen helfen!). Ich habe seit 3 Wochen nach denen Ausschau gehalten. Endlich fliegen sie über uns.

Brandgänse?
Brandgänse?

Es sind noch 5 km bis zum See, als wir unsicher sind welche Fahrspur ... umdrehen ... andere ... dort liegt ein alter Stromleitungsmast auf dem Weg. Ich steige aus, um sicher zu sein, dass da echt kein Strom mehr fliesst. Stromm fliesst da keiner mehr, aber ich höre, wie Luft aus unserem linken Vorderreifen fliesst.

Nun heisst es Ruhe bewahren. Als erstes versuchen wir das Loch mit dem Flickzeug, was Martin in Bishkek gekauft hat, zu flicken. Aber das ist aus China und zerbricht und Martins Vorschlaghammer. Reicht allenfalls nur den Zementkleber draufzustrecichen? Nein, ... also Reifenwechsel. Das klappt gut. Allerdings will Martin nun nicht mehr weiterfahren, weil der Ersatzreifen etwas kleiner ist und das "Raddifferantial eh schon ölt".  

Also bleiben wir da wo wir sind. Wir machen noch einen kleinen Erkundungsspaziergang, scheuchen einen Vogel auf, der ganz türkusfarbene Flügel hat und halten zum hundert-xten Mal vergeblich Ausschau nach Marco Polo Schafen. Zurück im Auto in unglaublich schöner Abendstimmung kochen wir hungrig Spaghetti Miracoli (seeeehr lecker! Echt!)und weil wir davon nicht satt werden kochen wir auch noch die Asia Nudeln von Maggi (auch nicht schlecht). 

Am nächsten Morgen klingelt um 20 vor 5 der Wecker. Fast zum Sonnenaufgang sind wir dann am Zorkul. Als wir losliefen, war es so warm, dass wir die langen Unterhosen ausgezogen und die Goretex Jacken wieder aus dem Rucksack rausgepackt haben. Das war ein Fehler. Eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang setzt ein eisiger Wind ein. So kalt, dass wir nach fast 2 Stunden Laufen umkehren. Das macht so keinen Spass. Schönheit der Landschaft hin oder her. Zurück am Auto, wird's dann nochmal spannend. Denn als wir losfahren, bollert irgendwas am Rad. Martin steigt panisch aus und ist überzeugt, dass das Ersatzrad Luft verliert. Ich nicht ... das bollert genauso, wie wenn man die Radschrauben nochmal nachziehen muss. Und so ist es auch (grins...).Beim Vogeltreffpunkt machen wir nochmal halt und brunchen mit Schinkenwurst und Fernglas.

Gegen 2 sind wir wieder beim Militärposten und dann beginnt die abenteurliche Fahrt durchs Wakhan-Tal (sprich Wachhhhaaan; schweizerisches chhh). Vorbei an Kamelen, über atemstockend-tiefe Schluchten, durch riesige Schafherden-Teppiche, durch pittoresk-adrette Dörfchen. Dann verbreitert sich der kleine, scharf-schneidende, das Gestein in einen Canyon teilenden Panjiv-Fluss in einen sanften, ebenenden, melodiös schwingenden Mäanderfluss. Ich bin fasziniert vom Wandel der Landschaft. Die Berge auf der afghanischen Seite demonstrieren in abstrakt-kunstvollen Formen. was Erosion bedeutet.

In Langar kommen wir zur Ruhe. Das Dorf lädt bestimmt zum Verweilen ein. So wie die Besitzer des kleinen, namenlosen Homestays, die uns auf der Strasse aufgabeln. Alles ist so heimelig und liebevoll. Da stört es nicht, dass wir uns mit kaltem Gebirgswasser waschen müssen und es mal wieder Makaroni und Kartoffeln in Öl zum Abendessen gibt - manchmal gibts auch Öl mit Kartoffeln und Makaroni und manchmal Kartoffeln mit Makaroni in Öl. Oh, fast hätte ich die Tomate vergessen, die oben drauf lag... Spass beiseite, das ist wirklich tragisch hier. Die Leute haben nur das zum Essen. Die UNO hüpft hier deshalb überall rum mit einem World Food Programm. Ich sehe nur keine Erfolge. Und bislang haben wir zwar viele, viele Schafe gesehen, aber noch keines auf einem Teller. Viele Fragezeichen. Aber ganz sicher eines der ärmsten, wenn nicht das ärmste Land, in dem ich je war.

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Kommentare: 3
  • #1

    Adi (Sonntag, 22 September 2013 16:35)

    Hoi Katrin
    Endlich komme ich wieder dazu, in Deinem Blog zu lesen. Geniess Zentralasien und "A Fortune-Teller told me". Ein hervorragendes Buch!
    Gruss
    Adi

  • #2

    katinkaintheworld (Montag, 23 September 2013 05:12)

    Adi, du überrascht mich immer wieder. Wie bist du auf den Fortune Teller gestossen?

  • #3

    Adi (Mittwoch, 25 September 2013 22:37)

    Ich hatte einst eine nette Mitbewohnerin, die sich um meinen Bildungsstand sorgte und mich mit Büchern versorgte. Ich habe es gelesen, bevor oder nachdem ich in Südostasien war. Ich fand das Buch einfach faszinierend und verschlang es in einem Zug - vermutlich genauso wie Du! Irgendwann muss ich noch Terzani's Werk "Letters Against the War" fertiglesen. Keine Ahnung warum ich es einst weggelegt hatte, schliesslich stand sehr viel Wahres drin.