Verzaubert

Die Zauberin heisst Rhododendron. Sie ist mannigfaltig, erscheint mir alle paar Schritte. Mal in reinstem Weiss, mal durchsichtig Zartrosa, dann in einem hellen, dichten Gelb. Mal sitzt sie auf uralten, knorzigen Bäumen, trägt einen Schleier aus Flechten. Dann wieder steht sie stolz in jungem Blattgewand. Von Zeit zu Zeit versprüht sie einen Duft, der mirdie Sinne vernebelt. 

Ihr zur Hand, kleine junge Zauberinnen, die Azaleen und Rosen. Sie verstecken sich in Form von Sträuchern, schlüpfen leicht in lichtarme Ecken, blinken mich von dort an und exponieren sich gerne dem grossen Meister Wind. Doch den stärkste Zaubertrank der grossen Zauberin, flössen mir ihre kleinen Zauberlehrlinge ein. Blumen und Blümchen. Aus jedem Stücken Boden, Wiese, Moosflecken, neben Steinen und am Flussufer wachsen sie. Mal in in voller Blüte, mal in geheimnisvollen Knospen. Lanzettenblättchen, fleischige Blätter, zart behaart, gefiedert, gezackt, bedornt. Blüten wie Körbe, Blüten wie Trichter, Blüten wie Lippen, leckende Zungen und Zünglein. In allen Farben des Regenbogen tauchen sie auf, betören mich, machen mich trunken, halten mich fest, lassen mich die Zeit vergessen. 

Ich spüre nicht den Regen der einsetzt. Ich kann nicht mehr raus aus diesem Zauberreich. Es ist die Nacht, die droht mich zu verschlingen. Und so reisse ich all meine Kräfte und Sinne zusammen, winde mich aus den Armen und Schlingen der Zauberin.

Zurück im Dorf Yubeng. Ein Regenbogen weckt mich. Ich traue meine Augen nicht, so perfekt liegt er über dem Tal. Ist die Zauberin mir gefolgt? Ich muss mich erholen. Sitze den ganzen Tag, lasse den Blick schweifen. Übers Tal, zu den Häusern am Talboden.

Zum heiligen Berg Kawa Karpo, der 6740 m hoch ist. Zu seiner 700m kleineren Schwester MianCi Mu. Beide tragen jahrtausendalte Eislasten auf sich. Die Wolken geben nur einmal den Gipfel des Heiligen frei. Langsam entfalten sich die Energien des gestrigen Tages.

Und ich schlafe ein mit dem Mond.