Zu Gast bei einem Physikprofessor der Yunnan University in Kunming

Es gibt keine Zufälle!

Verzweifelt und entnervt stand ich mitten in Kunming, da mich 5 Chinesen auf der Suche nach dem Fahrkartenverkaufschalter immer hin und her geschickt haben, von A nach B und wieder zurück. Während ich also mal wieder vor mich hinbruddel, bleibt ein älterer Herr vor mir stehen, neigt den Kopf ein wenig und fragt "May I help you?" Ja, sehr gerne. Er hilft mir die Fahrkarte von Kunming nach Dali zu kaufen und weil er das so beharrlich und liebenswürdig und erfolgreich tut, möchte ich ihn zum Mittagessen einladen. Das wiederum bringt ihn auf die Idee, dass ich mit zu ihm zum Mittagessen kommen könnte. Ich freue mich und sage zu. Beides kommt von Herzem, seine Frage und meine Antwort. Beides ist sicherlich auch ein bisschen getrieben von der Neugier am Gegenüber.

 

Sein Zuhause ist ein Appartment auf dem Unigelände. Dort wartet sein Frau kochend im Bademantel auf ihn. Sie staunt nicht schlecht, als sie mich sieht und schickt ihren Mann nochmals los mehr Essen zu holen. Währenddessen sitze ich im Wohnzimmer, wo man mir zur Unterhaltung einen riesigen Flachbildschirm angemacht hat. Ich schaue mich um. So also sieht das Appartment eines Professors einer 2fach mit Nobelpreisen gekrönten Universität und einer pensionierten Ärztin aus, die zusammen eine Rente von 985 Euro im Monat aus - brauchen tun sie 98 Euro. Das Appartment ist nicht so klein, ich vermute 2 Schlafzimmer. Eigentlich sieht es aus wie ein normals deutsches Stadtappartment den 70er Jahren. Hellgrüngraues Ledersofa, Glastisch, Laminatparket, furnierte Schrankwand, ein kitschiges Bild einer canadischen Landschaft mit Kühen von den Söhnen aus Canad über dem Sofa. Er hat ein eigenes Schlaf- und Lesezimmer mit einer Bücherwand. Die Küche hat einen Glaserker, in dem gekocht wird.

 

Sie sind erstaunt, dass ich mit Stäbchen essen kann (und so geschickt!). Und ich bin erstaunt, dass er in der Kulturrevolution als Assistant Professor nicht seinen Job verloren hat. Er hatte zwar keine Studenten mehr zum Unterrichten, aber er bekam - und das ist für mich wirklich erstaunlich - während der ganzen Zeit weiterhin sein Gehalt. Wie konnte er als Intellektueller denn unversehrt überleben? In dem er sich in diesem Appartment verkrochen hat, es nur zum Essen besorgen verlassen und viel, viel gelesen hat. Penetrant wie ich bin, hake ich nach, aber da ist dann irgendwie Schluss. Emotional. Und auch formal, da er plötzlich auf einer Frage was ganz anderes antwortet. Und soviel chinesischen Anstand habe ich mittlerweile. Das lässt man dann so im Raum stehen.

 

Nach dem Essen hat er mir noch den chinesischen Aktionsradius seines Lebens gezeigt - er war auch ein paar Jahre in Canada als Gastprofessor. Das Gebäude, wo er als Student gewohnt hat, das Gebäude wo er doziert hat und und die Bibliothek. Und den Kindergarten seiner Söhne.

 

Welch eine angenehme Persönlichkeit. Ich bin so dankbar für diese Begegnung, denn sie hilft mir mein Bild der Chinesen weiter zu malen. Und sie ist für mich mehr Lebensschule, als ich jemals gedacht hätte. Denn wo und wie sonst, könnte ich lernen, die Dinge einfach im Raum stehen zu lassen?! Und: niemand hätte jemals gedacht, dass ich gerne von einem Physikprofessor etwas lerne. 

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