Erst ICH!

Wie sagte doch mein Freund Toby gestern "Please take your oxygen mask first, before you help children and other persons."

 

Neben der Tatsache, dass das im Katastrophenfall ja durchaus sinnvoll ist, denn wenn man umgefallen ist, kann man ja auch niemandem mehr helfen, so gilt der Spruch hier aber auch in jeder anderen Lebenssituation.

 

Ich durfte das auf wunderbare Weise sehr anschaulich erfahren. Ich wartete zusammen mit einigen Chinesen auf einen Bus. Als dieser einfuhr, rannten plötzlich alle los, hinter dem Bus her. Sie schubsten und rempelten sich gegenseitig an, um einen Platz vor der Türe zu bekommen. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie die rannten. Zudem musste ich lachen, da ich es lustig fand wie sie da so aufgescheucht durch die Gegend rannten, wie die Hühner. Hätte ich ich gewusst, dass Gott wirklich immer sofort straft, hätte ich nicht gelacht. Ich lief also auch in die Masse und schlängelte mich in den Bus. Ich war nicht die letzte, es gab noch 2- 3 freie Sitzplätze, die ich aber den Altchen überlassen wollte. Irgendwann sassen alle (soger der nette junge Herr um die Dreissig, der sich schnell auf einen Sitz setzte, als ich den einer Alten anbot. Nur ich sass nicht. Ich setzte mich auf die Mittelkonsole neben dem Fahrer. Da sprach mich dieser an und mir schwante, was er sagte. Also tat ich so, als ob ich nichts verstand - oder besser gesagt, ich verstand ja auch nichts. Aber sonst gebe ich mir immer Mühe und frage nach. Er sprach mich wieder an, ich ignorierte ihn weiter und plötzlich fingen alle an zu kichern. Da klopfte er mir auf die Schulter und deutete an, ich solle aussteigen. Ich war fassungslos. Der ganze Bus grinste mich an. 20 grinsende Chinesen. Da kramte ich all mein Chinesisch zusammen und sagte so was wie "Ihr wisst. Ich weiss nicht. Ich bin Ausländer. Und ihr habt alle so gemacht" und dabei haute ich meine Ellebogen heftig nach links und rechts. Darauf lachten sie noch unverhohlner, wiederholten, was ich gesagt hatte - sie hatten mich also sehr gut verstanden. Worauf hin ich auf Deutsch sagte "Ja, da könnt Ihr alle lachen, ich bleib hier sitzen." Dann lief die Frau rum, die das Geld für die Fahrkarten einsammelt. Ich hielt ihr die 5 Yuan hin - sie nahm sie nicht an. Der Fahrer klopfte mir wieder auf die Schulter und zeigte nach draussen. Mit einem lauten "Fuck You" verliess ich den Bus. Der nächste kam relativ schnell, wobei mir das ja schon klar war. Mir ging es nicht um den Platz im Bus. Zur Not nimmt man sich ein Taxi. Es war ihre bewusste egoistische Art, die mich so aufrieb. Noch nie ist mir sowas beim Reisen passiert. Überall sonst, kommen die Leute immer und fragen von sich aus, ob sie helfen können. Nur hier lacht man sich ins Fäustchen, wenn die dumme Langnase einem auch noch einen Sitz anbietet! Ich finde das wirklich unerhört. Ich biete anderen meinen Sitz an und die lachen mich aus.

 

Als der nächste Bus, kam auch Darwin. Ich rannte los und war die erste vor der Türe. Von hinten wurde geschubst und gedrängelt was das Zeug hielt, woraufhin ich wieder meine Rucksackschleuder einsetzte. Die Altchen hinter mir mit Ihren 39 Kilogramm, die haben da keine Chance - und plötzlich hatte ich Platz UND einen Platz im Bus.

 

Ich kann Euch gar nicht sagen wie elend, elend, elend ich mich gefühlt habe. Als ich sass, habe ich erst mal auf deutsch vor mich hin geschimpft und dann, als ich mich langsam beruhigte, fing ich an zu weinen. Ich habe mitgemacht, bei diesem fürchterlichen Spiel "Erst ich!". Ich habe meine eigenen ethischen Grundsätze über Bord geschmissen.  

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Kommentare: 4
  • #1

    Rebecca (Samstag, 01 Juni 2013 18:28)

    Einfach unglaublich!!!! Ich kann kaum glauben wie egoistisch es in manchen Ländern zugeht... Nicht das ich es nicht geahnt habe, aber so hautnah aus deinen Erzählungen...frage mich wie und warum Menschen so sein können? Überlebenstrieb? Kultur? Angelerntes Verhalten?... Und Anpassung ist da wohl das einzig adequate Mittel um zu seinem individuellen Ziel (Busfahrt) zu kommen. Was sind das für Regeln? Welche Auswirkungen auf die Gesellschaft und das miteinander leben?
    Schreib sich 'leicht' hier aus dem entfernten Europa..macht nachdenklich und lässt mich gleichermassen glücklich sein über den Ort an dem ich leben darf. Ich drück dich und verdrücke eine kleine Träne


  • #2

    ClaudiaW (Sonntag, 02 Juni 2013 00:59)

    In Extremsituationen muss man seine ethischen Grundsätze wohl mal hinten anstellen, ansonsten kommt man im wahrsten Sinne des Wortes nicht weiter. Aber als besonders freundlich und Hilfsbereit habe ich die Chinesen auch nicht in Erinnerung. Sie scheinen sich selten wirklich zu freuen und besonders gern scheinen sie auch nicht zu lächeln oder lachen - umso schlimmer dann für unsre "sensiblen" Charaktere, dass sie sich auf die oben beschriebene Art belustigen.
    Kopf hoch!

  • #3

    Eckhard (Sonntag, 02 Juni 2013 12:16)

    Liebe Katrin,

    nicht komplett verzweifeln. Was ich gelernt habe (war ja schließlich auch mal da) ist so sinngemäß: wenn Chinesen lachen, ist das oftmals aus Verlegenheit. Weil sie nicht wissen, wie sie es richtig machen sollen. Weil sie Angst haben, etwas falsches zu sagen, wenn sie um Rat gefragt werden - sagen sie lieber gar nichts. Ist trotzdem alles nicht schön, aber so lernen sie es. Nicht eigenmächtig Verantwortung übernehmen, für die sie sonst zur Rechenschaft gezwungen werden könnten.

    Warum sie noch gelacht haben könnten? Weil du in ihren Augen dein Gesicht verloren haben könntest, indem du laut geworden bist und geschimpft hast. Das entspricht eher nicht ihren Idealen, das ist hoch verpönt (so wie bei uns das Rumrotzen und Schmatzen und Schlürfen). Man duckt sich und akzeptiert Ungerechtigkeit, oder dass man zu kurz gekommen ist, wie du mit dem Sitzplatz. Was du ja in ihren Augen sogar selbst zu verantworten hattest - warst ja schließlich nicht schnell genug am freien Platz. Unlogisch für uns? Klar. Aber wenn die Regeln von allen akzeptiert werden, begehrt man als einzelner kaum dagegen auf. Noch dazu, wo aufbegehren auch heute noch in China sehr schnell unangenehme Folgen haben kann.

    Und das Drängeln, das nur nach sich selber schauen? Das kenne ich noch aus der untergehenden Sowjetunion unter Gorbatschow, da waren sie auf der Straße so kalt und herzlos miteinander, kein Türaufhalten, nicht nach dem Obdachlosen sehen. Der Kommunismus hat alles, was nach Bürgerlichkeit klang, aus den Menschen getrieben - auch die Höflichkeit, die Fürsorglichkeit. Zumindest auf der Straße. Denn das änderte sich damals in Russland alles, wenn man privat mit den Menschen zu tun hatte. Da waren sie durchaus umeinander besorgt und freundlich, gar herzlich. Aber im öffentlichen Leben muss jeder nach sich schauen, etwas von den knappen Ressourcen bekommen, seinen Anteil am Kuchen. Der Staat versorgt eben nur mit dem Nötigsten (wenn überhaupt), die Sitzplätze sind knapp zum Beispiel.

    So, das sind so meine Erklärungen - gut heißen will ich das trotzdem nicht, aber es kann eben sein, das manches eine Folge der Missverständnisse und der unterschiedlichen kulturellen Vorstellungen sind. Ich wünsche dir trotzdem, dass du dir davon deine positiven Eindrücke nicht überschatten lässt, die du ja auch gemacht hast. Und uns weiter mit so ausführlichen Betrachtungen über Länder und Leute - und entsprechenden Bildern - versorgst. So können wir an deinen Erlebnissen Anteil nehmen. Und uns über die Unterschiede Gedanken machen und etwas über die Kulturen lernen. Vielen Dank dafür!

    Liebe Grüße, Eckhard

  • #4

    katinkaintheworld (Mittwoch, 05 Juni 2013 17:05)

    @ alle drei mehr oder weniger Entrüsteten... tut gut, wenn ich mich nicht nur alleine entrüste. Und zwischenzeitlich bin ich auf dem Weg, humorvoll mit den Schlitzäugchen umzugehen. Wenn's fruchtet, dann erzähle ich Euch davon.