Melancholische Beschaulichkeit

Von Furongzhen reise ich weiter nach Dehang - ein Miao Minoritäten Dorf. Das Bauerndörfchen liegt am Ende eines kleines fruchtbaren Tales voller Gärten und Felder. Die alten Chinesinnen und Chinesen tragen noch ihre traditionelle Kleidung. Die Frauen leinengewebte schwarze Hosen, deren Bund mit kobalt-türkisblauen Stickereien verziert ist. Die Blusen sind ebenfalls schwarz, mit Stickereien verziert und seitlich geknöpft. Auf dem Kopf liegt ein schwarzes Tuch, dessen Rand mit einem farbigen Faden umfasst ist. Gehalten wird es von einer Art Gobelinband. Die Männer sind ganz schwarz gekleidet, wobei ich nicht ganz sicher bin, ob es auch noch eine helle traditionelle Kleidung gibt.

Die Jungen tragen billige und grell-bunte Imitate der alten Kleider. Für einmal sieht man kaum hohe Plateauschuhe. Doch die geschmacklosen Imitatate und die Beschäftigung der sie nach gehen, stimmt mich nachdenklich: sie verkaufen die Souvenirs, die man auch 500 km weiter im Süden bekommt und sie betreiben äusserst lustlos kleine Hotels und Restaurants. Dabei hätte alles soviel Potential. Oder ist meine Sicht auf die Dinge romatiserend? Ja, auf's Feld gehen und bis zu den Waden im z.T. doch stinkenden Reiswasser stehen ist anstrengender. Aber wer bringt in Zukunft das Essen auf den Tisch. Langsam begreife ich auch warum die Ernährung der Bevölkerung in China eines der grössten Probleme ist.

 

Mir fällt die kleine chinesische Studentin wieder ein, mit der ich ein paar Tage verbracht habe (ja, die auf dem Photo im Wulingyuanpark). Sie war ständig ausser Atem und ich hatte Angst, dass sie in der nächsten Sekunde einen Herzinfarkt bekommt. Ich sprach sie darauf an - und nur schon das liess sie ruhiger atmen. Sie studiert in Italien Architektur - weil ihre Eltern sie da hin geschickt haben. Sie selbst fühlt sich sehr mit der chinesischen Kultur verbunden und ist sehr besorgt um die Zukunft ihres Landes. Sie beobachtet in ihrem Heimatdorf einen zunehmenden Verlust von Werten und Hilfsbereitschaft. Allen geht es nur darum Geld, zu haben und damit Sachen kaufen zu können, um dies nach aussen zu demonstrieren. Man hilft einander nicht mehr gegenseitig. Ich habe mich an an all den schönnen Orten immer gefragt, wie die Chinesen es schaffen, in Windeseile an die Shooting-Spots zu rennen, Fotos schiessen und wieder abfahren. Kein Innehalten, kein Verweilen, kein Schritt neben die markierten Wege. Auch dabei geht es einzig und allein darum, den Freunden daheim das Foto präsentieren zu können "Da war ich.".

 

Was ist das also für ein Volk? Ich weiss nicht, wie mit ihnen umgehen.

 

Ihre schroffe Art, ihre Lustlosigkeit im Gastgewerbe, das Rumgerotze, Gespucke, ihr Geschick in kürzester Zeit ein schönes Hotel verlottern zu lassen... Das Lautsein ... Ich werde nicht warm. Selbst die beiden kleinen alten Bäuerchen, zu denen ich mich gesetzt habe, Gurken und Äpfel gekauft habe und mich mit ein wenig unterhalten habe. Sie zeigten kein wirkliches Interesse an mir. In Myanmar konnte ich nicht mal die Sprachen und doch kam es ständig zu Dialogen. Mit Lächeln, Strahlen in den Augen, anfassen, Mimik und Gestik.

 

Was ist hier passiert und was passiert hier noch?

Ich weiss um die leidvolle Geschichte der Chinesen. Und ich versuche viele Dinge mit ihrer Vergangenheit zu erklären.

 

Z. B. warum pflastern sie kilometerlange Wanderwege durch den Wald in die Berge? Warum kaufen sie sich keine Wanderschuhe und laufen auf den Waldwegen? Weil die Kommunisten ihre Vorfahren 1000ende von Kilometern durch das Land gescheucht haben? Weil sie dazu verdammt wurden, hungerleidend für den Sozialismus zu laufen und zu ackern? Das wäre eine denkbare Erklärung: das Leben jetzt nur noch geniessen. Kann man es ihnen verdenken, wenn man sich die Gräuel vor Augen führt, die noch nicht allzulange zurück liegen?

 

Aber warum schauen und laufen alle weg wenn ein Unfall passiert, sich jemand verletzt? Das macht mir wirklich Angst. Wenn mir hier was passiert, dann hilft mir keiner. Keiner. Das ist wirklich schlimm. Keiner traut keinem. Man hat offenbar Angst, wenn man hilft im Minumum als Zeuge vernommen zu werden und im schlimmsten Fall bestraft zu werden (für was auch immer). Auch das: in einer Zeit, wo man gestern noch als parteitreu galt und heute nicht mehr, obwohl man selbst seine Gesinnung nicht geändert hat. Aber eben die Partei die ihre und man lief so nichtstuend Gefahr am Baum zu enden... ja, dass in einer solchen Zeit Misstrauen überlebenswichtig ist, ist klar. Aber heute? Ich krieg das einfach nicht in meinen Kopf. Denn ich nehme wieder Burma als Gegenbeispiel: die politische Situation war nicht anders und ist heute eher noch schlechter als in China. Und doch: man hilft einander.

 

Also nochmals meine Frage: was ist hier passiert und was wird hier noch passieren? Meine kleine Studentin...die mit dem unruhigen Atem... ich hatte ihr versucht zu erklren, dass ich an die Selbstorganisation von System glaube und ein System ohne humanistische Werte nicht nachhaltig sein kein. Doch ganz sicher bin ich mir nicht. ..

 

Ich werde noch ein Stückchen weiter reisen. Die Landschaften sind schön und trotz allem habe ich auch schöne Begnungen. Ich werde noch ein bisschen suchen... nach dem Mensch von Konfizius.

 

PS: Dialog sehr erwünscht, fühle mich mit diesem Thema recht einsam. Zumal ich seit Tagen keine westlichen Reisenden mehr getroffen haben.

Noch ein paar Bilder zu den Behausungen...

Aussenisolation mit Bambusmatten und Lehm
Aussenisolation mit Bambusmatten und Lehm
Modernisierungen
Modernisierungen
Blick von meiner "Loggia"
Blick von meiner "Loggia"
Meine Behausung
Meine Behausung

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Kommentare: 2
  • #1

    Toby (Freitag, 31 Mai 2013 23:55)

    Hallo liebe Katrin! Auch wenn ich bisher noch nichts kommentiert habe, lese und genieße regelmäßig Deine Einträge. Was für ein intensives Leben Du im Moment hast! Und wir hier im Jahrhundert-kalten "Frühling": "Der kleine November möchte Bitte im Mai abgeholt werden", habe ich letztens gelesen...
    Jetzt aber möchte ich mich melden, damit Du nicht mehr gar so einsam bist mit der chinesischen Irritation. Ich mache mir ja auch so meine Gedanken manchmal. Ich habe auf meinen Reisen in die unterschiedlichsten Kulturen und Mentalitäten oft die Menschen angeschaut und die Zusammenhänge versucht herzustellen: Ob es die melancholischen Russen in ihrem großen, kalten Land sind; die lebendigen Brasilianer an ihren Stränden und den Rohstoffen im Hinterland; die romantischen Iraner inmitten ihrer überwältigenden Kultur und Geschichte; die sich ständig hinterfragenden Deutschen mit ihren Ticks und der einen teuflischen Episode in ihrer Geschichte; die selbstbewussten Fastfood-Amerikaner, die die teuflischen Episoden in ihrer Geschichte locker un-hinterfragt lassen; die Australier mit ihren Surfboards in den Fußsohlen und den weiten Zeitlosigkeiten; und eben die lustlosen, rotzendem, auf Status fokussierten Chinesen, die versuchen, den Anschluss zu halten mit den Menschen, deren ipads und Handys sie zusammenschrauben.
    Nach meinen China-Reisen hatte ich folgenden, subjektiven Eindruck:
    Wenn das Streben nicht mehr von der Suche nach dem Besten für sich selbst bestimmt wird, sondern durch den steten Vergleich mit dem anderen, verliert man sich, verliert man den roten Faden. China ist ein internationaler Hingucker, hat wirtschaftliche und politische Bedeutung, mit vielen vielen Menschen. Das ist nicht der Fall in den Ländern, die Dir anders vorgekommen waren. Die Vereinbarung von dem guten Alten mit dem Neuen ist eine vorübergehende Brackwasserzone, da muss man schnell durch, am besten an einer Leine aus Traditionen, sonst verliert Mensch die Orientierung: Früher sollten wir alle blass sein, heute sind alle im Fernsehen braun gebrannt, aber davon kriegt man Krebs - was denn jetzt? Früher war schmatzen und rotzen und furzen ein Kompliment für den Koch. Früher haben wir nur im Keller gelacht, heute wollen die kleinen Ausländerinnen sogar beim Gurkenkaufen Witze erzählen. Früher gab es keinen Strom, heute soll ich damit Fotos verschicken. Früher war es hier schön, heute kann ich vor Smog die Hand nicht vor den Augen sehen, aber die im Westen haben doch auch viele Autos und trotzdem schönes Wetter...Früher hat man mir gesagt, was ich zu denken habe, heute soll ich bei Facebook posten. Undundund... Ein Volk auf halben Weg zwischen früher und morgen: Alles was war, ist nicht mehr richtig, sagt das Internet. Alles was sein soll, haben wir nicht, also schnell her damit, und wieviel davon hat schon mein Nachbar. Schnell sein, an sich denken. "Please take your oxygen mask first, before you help children and other persons". Woanders ist alles besser, aber wo, und wie komme ich dahin? Und die Tradition? Stört. Im Moment zumindest. Und der Müll? Räumen wir auf, wenn die Party vorbei ist. Welche Party, ich habe keine Einladung bekommen? Schau nach bei Facebook... Alle wollen zu uns, also scheinen wir tolle Typen zu sein, schmieren uns Honig ums Maul und geben uns viel Geld. Aber ich will auch mal fliegen, und die Uhr will ich auch. Geld machen, essen kaufen, glücklich sein scheint einfach zu sein, die ganzen Langnasen haben den Dreh doch auch raus.
    Aber zwischendrin gibt es die Bewahrer und Weitsichtigen, wie Deine atemlose Studentin, die Mönche... Wenn der Schlussverkauf erstmal nachlässt, wenn die ersten Burnout-Essays auch auf dem Land gelesen werden, ist wieder Zeit, um ausschnaufen und den Blick hochzunehmen. Dann kann man die ganzen Einkaufstüten mal aus der Hand legen und die Führungsleine wieder aufnehmen, die mit den Traditionen. Auf die Leine hatte jemand in der Zwischenzeit aufgepasst. Ruhe ist doch was Feines...

  • #2

    katinkaintheworld (Samstag, 01 Juni 2013 14:29)

    Ach Toby, Du glaubst gar nicht, wie wohltuend Dein intellektuelles Futter für mich ist! Ich möchte über all das, was Du schreibst und meine Erlebnisse und Empfindungen nachdenken ... und dann meldeich mich wieder. Im Moment bin ich noch am Verarbeiten meines gestrigen Erlebnisses (siehe Blog dazu), was an Deine Ausführungen anknüpft.